Ein Bericht aus Einsiedeln (mehr oder weniger)




Etwas verspätet folgt hier mein erster "richtiger" Blogeintrag, mein erster Erlebnisbericht. Von mir geplant war, neben den Erlebnisberichten eine Sammlung von meinen Gedanken und spontanen Ideen zu kreieren, deren Auswuchs der erste Blogeintrag vor vier Wochen war, wozu ich jedoch leider (noch) nicht vollumfänglich kam. Was die Erlebnisberichte anbelangt, möchte ich hierbei auch nicht nur von reinen Ereignissen erzählen, was, wie ich finde und unten wohl verständlicher werden wird, etwas zu nominalistisch wäre, als das es dem benediktinischen Ideal genügen könnte. Ich möchte daher im Folgenden gerade und vor Allem meine Eindrücke schildern, meine wechselnde und oft unstete Beziehung zum Kloster, zum Leben in ihm, und zu der Zeit, die ich hier in Einsiedeln und nun in Montecassino verbringe. In Einsiedeln kam ich am 17. August an, was nun also schon geraume Zeit zurück liegt. Dennoch bin ich wohl in der Lage, von meinen Erfahrungen und Erlebnissen gut und adäquat zu berichten, wie ich es bald noch von meinen bisherigen Wochen in Montecassino tun werde. 

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Was meinen ersten Eindruck anbelangt, so war der erste Tag für mich noch sehr gewöhnungsbedürftig. Nachdem wir ankamen, uns etwas einfinden und die umgebende Landschaft erkunden konnten, durften wir direkt an unserer ersten Gebetszeit teilnehmen, der Vesper, die mich direkt zum Zweifeln brachte. Nach der Vesper hatte ich mich gar ernsthaft gefragt, ob es überhaupt möglich sein würde, dies für mehrere Monate mehrmals am Tag durchzuhalten. Das Gebet an sich wirkte lang und zäh, ich konnte die richtigen Seiten im Buch nicht finden, und fühlte mich direkt verloren. Doch nicht nur die Vesper bedingte mein schlechtes Gefühl; ich empfand schon am ersten Abend eine tiefe Entfremdung von diesem Leben, das ich für die nächsten Monate führen würde. Das frühe Aufstehen und die festen Termine, die nunmehr mein Leben für geraume Zeit unter scheinbarem Verlust jeglicher Flexibilität und Offenheit fast schon prädestinieren sollten, wirkten bedrohlich. Es schien mir so, als würde das Leben im Kloster einer einzigen, großen Sisyphus-Arbeit gleichen. Jeder Mönch lebe - so schien es mir - seinen Tag in dauerhafter Erwartung der nächsten arbeitsamen Tätigkeit - Gebet, Messe, Arbeit, Lektüre - die im Gesamten den ganzen Tag umfassen und ihn scheinbar jeglicher Eigenbestimmung, jeglichem Willen, ja, fast schon seinem Menschsein selbst zugunsten einer unpersönlich geregelten, arbeitsamen Aufwändigkeit beraubten. Er schien mir festzustecken, im Wissen, für den Rest seines Lebens dies, und nur dies zu tun; entfremdet von seiner eigentlichen Freiheit und Menschlichkeit. Die Idee, dies für Monate durchzuhalten, war fürchterlich - am Ende des ersten Abends wirkte auf mich die Repetition des Klosterlebens wie kaum mehr als die Rezitation von Sinnlosigkeit und Leere. 

Doch, zu meiner Überraschung, verflog schon bald dieses Gefühl. Im Rückblick denke ich, dass der geschilderte Eindruck dadurch entstand, dass die Vesper - als mein erster Eindruck des benediktinischen Lebens - von mir wie ein einzelnes, kontextloses Ereignis aufgefasst wurde, fast schon wie eine Entscheidung - wie ein Gang ins Kino oder Freibad beispielsweise.

Die wahre Integrierung in diesen Lebensstil geschieht jedoch erst, wenn man sich von dieser Konzeption entfernt; ergo, wenn man den Tag nicht als Sammlung verschiedener, vereinzelter Veranstaltungen betrachtet, sondern als eingängigen Fluss an Routinen; und sich selbst nicht als aktiven Akteur in diesem Ensemble, aber vielmehr als Passagier, der die Fahrt eines Zuges auf sich wirken lassen kann, sie deuten und an ihr Teil haben darf, aber über keine Eigenmacht bzgl. ihres Verlaufes verfügt. Lässt man sich vom Fluss ergreifen, so ist die alltägliche, vorhersehbare und planbare Terminlichkeit der Vesper nicht mehr ein Ausdruck von einem "Feststecken", sie wirkt sogar nicht mehr arbeitsam. Sie ist - für sich betrachtet - eigentlich gar nichts mehr; man geht schlichtweg zur Vesper - und dann geht man weiter, in der großen Liturgie des klösterlichen Lebens.
   Die Repetition der terminlichen Tätigkeit des eigenen Tages wird hier mit der Dynamik des inneren Lebens gekreuzt. Indem die Vesper als einzelne Veranstaltung ihre Bedeutung verliert, gewinnen, wie ich bald auch selbst spürte, die emergenten Effekte des liturgischen Lebensflusses Überhand. Ich habe in mir schon in der ersten Woche gespürt, dass ich eine gewisse Konzentration und innere Ruhe, Möglichkeit zur Reflexion erlangte; über Konkretes hinweg und im Kleinen das Große zu sehen. All diese Werte werden im Kloster nicht in kleinen Momenten reflexiver Andacht konsumiert, sondern als jeglich momentaner Rahmen des eigenen Lebens kultiviert und gelebt. Möglicherweise aufgrund meines anderen konfessionellen Hintergrundes fiel es mir im Allgemeinen bis jetzt schwer, den allzeit präsenten Bezug zu Gott, der immerzu vordergründig vorhanden ist, nachzuvollziehen. Der Gottesbezug spielt im Benediktinerkloster nicht nur im Gebet eine Rolle, sondern auch in der Arbeit, im Essen, im Aufstehen und Schlafengehen, in schlichtweg Allem. Über den Wert der Lebensform - als religiöses Projekt, aber auch für sich betrachtet - bestanden aber schon in meiner Einführungswoche keine Zweifel mehr. 

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Und so begann ich meine Zeit im Kloster Einsiedeln. Ich durfte nun an den Gebetszeiten der Laudes (Morgengebet), Vesper (Abendgebet) und Komplet (Nachtgebet) teilnehmen. Kuba und ich durften sogar zweimal der Vigil, der "Nachtwache", um 5:30 Uhr beiwohnen. Täglich gab es vormittags ein kurzes Einführungsgespräch mit einem jeweils immer anderen Bruder über Grundlagen benediktinischen Lebens sowie nachmittags Arbeit - im Garten, beim Austragen von Info-Briefen zur Prozession des 14. September (an der ich leider nicht mehr teilnehmen konnte, da ich zu diesem Zeitpunkt schon in Montecassino war) oder beim Aufbauen eines Festzeltes. Trotz meiner positiven Einstellung gegenüber der kontemplativen Seite klösterlichen Lebens fand ich doch auch Gefallen an den materiellen Gütern in und um das Kloster - besonders dem ausgezeichneten Essen, aber auch der wunderschönen Landschaft rundherum und allen sozialen Interaktionen im Kloster. Bruder Klemens gab uns eine exzellente Führung in der barocken Bibliothek, Benno-Maria präsentierte uns die enorme Reliquiensammlung des Klosters und die Rekreation als auch das von Bruder Klemens eigens erstellte Brettspiel mit Quizfragen zum Kloster bleiben mir besonders in Erinnerung. 

Die Einführungswoche in Einsiedeln geht mir somit auch heute noch, in Montecassino, nicht aus dem Kopf. Nicht nur aufgrund der schönen Erfahrungen mit den Menschen und dem Kloster, aber auch weil ich hier in der Lage war, ein Verständnis für das klösterliche Prinzip zu erlangen, und mich emotional im Leben im Kloster zu involvieren. Die Woche in Einsiedeln bildet für mich auch jetzt noch, in Montecassino - von dem bald Berichte folgen werden - die Grundlage und der Rahmen der Weise, wie ich dieses Leben, das ich für die nächsten Monate führen werde, wahrnehme. 


PAX (oder irgendwas mit Bohnen?)

- Ruben


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